Jesus Christus nachfolgen - gestern und heute

Predigt zu Hebräer 13,7-9a am Sonntag Reminiscere, 25. Februar 2018, von Otto Guggemos

·    Lesung

Ich lese den Predigtext aus dem Hebräerbrief, Kapitel 13. Diesen Text hat am 11.Oktober 1942 Dekan Ammon bei der Trauerfeier für Peter Hupfer – auf dieser Kanzel – ausgelegt. Der mittlere Vers, Hebräer 13,8, war der Trautext von Peter Hupfer und von ihm für seine Beerdigung gewünscht. Dekan Ammon hat auch noch den Vers davor dazugenommen, Sie werden merken warum. Ich ergänze den folgenden Vers.

Wir hören den Predigttext:

„Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach.

Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“

·    Das Private und das Politische (V8)

-    Wer ist der Führer?

Als wir das Thema Peter Hupfer – ein Pfarrer im Widerstand angepackt haben, haben wir vielleicht Erwartungen geweckt, die zu hoch gesteckt waren. Peter Hupfer hat keiner keiner Widerstandsgruppe angehört, er hat auch nicht offen gegen das Dritte Reich gesprochen. „Inneren Widerstand“ hat er geleistet, nicht offenen, äußeren.

In einer Predigt, seiner ersten Predigt seines Schicksalsjahrs 1942, findet sich ein Satz, der programmatisch zeigt, dass auch dieses innere Widerstehen politisch höchst relevant ist:

„Ich will mich am liebsten der Führung anvertrauen, zu der ich restloses Vertrauen haben kann, in deren Hand sich alle Macht findet und das ist Gott der Herr.“

Können Sie zwischen den Zeilen hören? Es geht im Leben eines Christen immer um die Frage: Wer ist Führer. Wer führt mich durchs Leben. Das ist nämlich eine Glaubensfrage. Sich führen lassen heißt glauben und glauben heißt sich führen lassen.

Die Gemeinde, so Hupfer, muss Christus allein dienen. Auf nichts Menschliches mehr schauen, sondern auf ihn allein.

-    die Themen von Kap 13

Was das bedeutet, merkt man, wenn man den Textzusammenhang des Verses liest: Hier geht es am Ende des Hebräerbriefes um ganz unterschiedliche konkrete Ermahnungen für das ganz konkrete Leben des Christen: Solidarität mit Fremden, mit Verfolgten und Gefangenen; Liebe und Treue in der Ehe; Geldgier und materielle Sorgen, Zufriedenheit, den Gottesdienst der Gemeinde, das Leben nach dem Tod, die Bereitschaft, sich für seinen Glauben verspotten, ja mobben zu lassen.

„Jesus Christus gestern und heute“ bindet diese Konkretionen zusammen. Denn es geht immer darum, unter seiner Führung, in seinem Geist zu leben.

-    gestern und heute

Jesus Christus gestern: In dieser Kirche sehen wir das große Bild von Christus am Kreuz. Dekan Ammon konnte 1942 auf die damalige Jahreslosung verweisen: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Und er zeigte auf das Kreuz in dieser Kirche, das daran erinnert: Gott ist Mensch geworden. Der Gerechte leidet unter den Menschen, leidet unter ihrer Sünde, Angst, Trägheit und Gier. Aber er geht ans Kreuz um bei uns zu sein, öffnet weit die Arme und lädt uns ein: Komm zu mir, ich bin der Weg und das Leben.

Jesus Christus gestern und heute: Das ist kein altes Märchen. Es ist für heute.

Privat haben wir alle unsere Herausforderungen. Das muss ich Ihnen nicht erzählen.

-    politische Zukunft-Sorgen

Wie sieht es politisch aus. Was kommt? In welcher Welt wird sich unser Glaube bewähren müssen?

Blühen uns Flüchtlingsströme von bisher unbekanntem Ausmaß durch den Klimawandel? Durch einen Atomkrieg? Werden wir einmal auf der Flucht sein?

Oder werden wir tatsächlich erleben, dass der Konsens der politischen Mitte in Deutschland zerfällt und Radikale in unserem Land wieder mehr zu sagen haben? Wir erleben ja gerade, wie sich eine neue Partei etabliert. Die Angst vor Fremden und vor Veränderung wird geschürt und politisch ausgeschlachtet. Gleichzeitig wird das Unrecht im NS-Regime – unter so viele Leben zerstört wurden – relativiert und beschönigt.

Aber eigentlich habe ich eine viel ernstere Sorge, eine Befürchtung, die ich für viel realistischer halte. Eine Entwicklung, auf die auch die neuen Rechts-Konservativen nur Reagieren: Ich beobachte folgendes: Unsere Gesellschaft lebt ja von Werten, die eigentlich christlich sind. Über Jahrhunderte waren sie selbstverständlich, und der Freiheitskampf von Humanisten, Liberalen, Demokraten und Sozialisten konnte sich darauf berufen. Dass alle Menschen gleich sind, war so selbstverständlich, dass es keiner für notwendig hielt, dafür eine weltanschauliche Begründung zu formulieren.

Heute ist unsere Gesellschaft so säkularisiert, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, den Glauben an die Kinder weiterzugeben. Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht mehr weiß, woher sie ihre Werte hat. Wie soll die Gesellschaft ihre humanistischen Werte und das christliche Menschenbild an die nächste Generation weitergeben, wenn sie kein Christentum mehr lebt und weitergeht?

Liebe Gemeinde, ich befürchte, dass wir das erleben werden: Eine Gesellschaft, die an nichts mehr glaubt, kann ihren Kindern keine Werte mehr vermitteln. Welche Ideologien werden sich im weltanschaulichen Vakuum etablieren?

-    Glauben leben

Das ist die Zeit, in der wir heute unseren Glauben leben. Nicht so gefährlich wie zur Zeit von Bruder Hupfer. Aber genauso notwendig: Jesus Christus ist nämlich derselbe - gestern, heute und in Ewigkeit.

·    „Gedenkt eurer Lehrer“ (V7)

Dekan Ammon hat es genauso fasziniert wie mich, dass im unmittelbaren Zusammenhang des zentralen Bibelverses die Erinnerung steht: „Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben.“

-    Heinersreuther Pfarrer

Vor ein paar Wochen stand ich mit Dekan Jürgen Hacker vor der Wand mit den Bildern der Heinersreuther Pfarrer, und wir dachten: Da ist kaum einer darunter, dem es wirklich gut gegangen ist. Nur einer ist hier geblieben, Pfr. Köhler, alle anderen haben Heinersreuth auf dem schnellsten Weg verlassen. Bei manchen weiß ich, warum.

Ich bin ja viel bei Senioren unterwegs und höre viele Erinnerungen. Pfr. Linstedt, Hupfers Nachfolger, war bei der Jugend äußerst beliebt, wurde das Leben wohl von den konservativen Kirchenvorstehern so schwer gemacht, dass er Schulpfarrer in Nürnberg wurde. Pfr. Bartholomäus litt unter Depressionen. Bei Pfr. Schneider wurde mehrfach eingebrochen und die Wohnung verwüstet. Viele Anekdoten gibt es über ihn, wie Gemeindeglieder seinen Lebenswandel angegriffen haben. Aber was hat dieser Pfarrer in 7 Jahren bewegt!

-    die innere Mission

Überhaupt: Wo sind eigentlich die Frommen in Heinersreuth, die Pietisten. Es gab hier einmal Bibelstunden, einen Kreis für innere Mission, sogar einen Missionar, der nach Papua-Neuguinea ging. Ohne die Dynamik dieser Gruppen hätte es keinen Kirchenbau in Heinersreuth gegeben. Der Posaunenchor kommt aus dieser Gruppe.

Wo sind sie geblieben? Das Feuer ist kalt geworden. Die Bibelstunden waren eingeschlafen, Begeisterung für die Mission gibt es nicht mehr. Praktisch alle Träger der pietistischen Kreise sind in den Weltkriegen gefallen. Sie mussten sich Anfeindungen gefallen lassen „Die Heiligen“…

-    die Kirche steht nicht in der Mitte des Dorfes

Wer den Nordbayerischen Kurier liest, dem ist sicher aufgefallen, dass es in Heinersreuth etliche Konfliktlinien gibt. Ich denke, das ist kein Geheimnis. Parteipolitik spielt hier eine große Rolle, Alteingesessene und Neubürger haben verschiedene Interessen. Und ich kann Ihnen sagen: Der Pfarrer steht eigentlich immer zwischen den Fronten.

-    Ruf zur Frömmigkeit

In seiner Predigt am Sonntag, 8.2.1942 verabschiedete sich Peter Hupfer von unserer Kirchengemeinde mit den Worten: „Ich ermahne die Gemeinde, dem Gottesdienst weiterhin treu zu bleiben, die Jugend zum Gottesdienst und Gebet anzuhalten und zu beharren in Bitte, Gebet und Danksagung für jedermann.“

Liebe Gemeinde, die Heinersreuther sind dem Gottesdienst nicht treu geblieben. Der sonntägliche Kirchgang ist ein absolutes Randphänomen in dieser Kirchengemeinde. Und die Jugend wird ganz bestimmt nicht zum Gottesdienst angehalten. Vielmehr, werden Kinder und Jugendliche vom Gottesdienst abgehalten, von ihren Familien, die den Sonntag als Familientag beanspruchen, immer wieder auch von Vereinen. Ein jüngerer Mensch, der heutzutage regelmäßig zum Gottesdienst geht, ist ein Exot!

·    Jesus Christus ist das Wort Gottes (V9a)

Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit. Das ist die Losung. Er ist der Führer für unser Leben.

-    ein festes Herz

So wird das Herz fest. So bekommen wir Grund und Orientierung, auch Kraft und Mut.

Innerer Widerstand, „nur“ im Privaten, was hat das schon zu bedeuten? Es bedeutet aber viel, denn im Privaten werden die Werte geprägt, werden die Kinder erzogen. Dort fallen die Lebensentscheidungen, dort wächst die Kraft auch für politisches Engagement.

Damit unser Herz fest wird, damit wir wissen, was wir wollen, damit wir nicht mit den Wölfen heulen, sondern frei bleiben, dazu brauchen wir Christus. Er ist nicht die fromme Dekoration, die man sich auch sparen kann, wenn man weniger sentimental ist.

Noch einmal mit den Worten aus Peter Hupfers Predigten: „Wir müssen uns unter Gottes Geist begeben. Gott will uns in seinem Geist erziehen, Gott will uns durch seinen Geist zu sich ziehen, dann wird uns Christus der Herr, dann wissen wir auf einmal, dass Jesus Christus unser Herr ist und wir wollens gar nicht mehr anders haben.“

-    Nachfolge

Sehen Sie, ich befürchte, wir haben nicht mehr Jesus Christus als Zentrum unseres Glaubens und Lebens. Verstehen Sie, man kann ihn ja nicht wirklich übersehen in der Kirche, aber man kann ihm einen Platz im Pantheon zuweisen, zwischen Buddha, Konfuzius und Immanuel Kant, und irgendetwas ins Zentrum stellen, was man für christlich hält.

Ich treffe jeden Tag Menschen, für sind die Zehn Gebote, die Nächstenliebe, oder das sogenannte christliche Abendland entscheidend, aber sie haben keine Beziehung zum lebendigen Christus. Wo patriotische Europäer für die Rettung des christlichen Abendlandes auf die Straße gehen und dabei die christliche Nächstenliebe übersehen, da ist aus dem Glauben Ideologie geworden. Verstehen Sie? Christliche Werte ohne Nachfolge, ohne ein Leben mit dem lebendigen Christus, sind nichts weiter als christlich-konservative Ideologie! Und wir wissen aus der Geschichte: es war die christlich-konservative Ideologie, die geradewegs in den Faschismus geführt hat.

Auch viele Fromme sind damals bei den Nazis mitgelaufen. Frömmigkeit ohne politischen Verstand ist auch gefährlich. Aber es steht doch auf einem anderen Blatt. Die Speerspitze der NS-Bewegung konnte auf konservativ-christliche Weltanschauung zurückgreifen, auf gelebte Nächstenliebe und Frömmigkeit nicht so sehr. Pfr. Peter Hupfer ist nur ein Beispiel, dass gelebter Glaube wenigstens den inneren Menschen gegen Ideologie immunisieren konnte. In Dietrich Bonhoeffers Werk kann man nachlesen, wie seine persönliche Christus-Frömmigkeit geradewegs in den Widerstand geführt hat. Wer Christus nachfolgt, dessen Platz ist an der Seite der Geschundenen und Unterdrückten. Das ist doch eigentlich klar.

Jesus Christus ist derselbe, gestern heute und in Ewigkeit. Die Zukunft heißt Jesus Christus. Unser Weg in die Zukunft heißt Jesus Christus. Wir werden ihn nur finden im Hören und Tun.

Das ist nicht Rückzug, sondern öffentliches christliches Leben,
nicht Wissen, sondern Glauben,
nicht Sicherheit, sondern Frömmigkeit.

Wir müssen uns unter Gottes Geist begeben, wir müssen dem Gottesdienst treu bleiben, die Jugend zu Gottesdienst und Gebet anhalten, selber beten für uns und für jedermann, und auf Gottes Wort hören.

-    keine Zeit?

Liebe Gemeinde, es geht heute nicht um Pfarrer Hupfer, und nicht um die Pfarrer von Heinersreuth. Es geht um Jesus Christus, den lebendigen.

Es geht darum, dass wir einladen zu einem Leben mit Jesus. Und darum, dass wir uns selbst von ihm einladen lassen, mit ihm zu leben. Er möchte, dass wir mit ihm Leben. Heute ist die Herausforderung in meinen Augen keine brutale Diktatur, sondern eine Industrie und eine Gesellschaft, die uns einredet, dass wir keine Zeit für Gottes Wort haben, weil es so viel zu tun gibt.

Aber Jesus Christus ist derselbe. Wir brauchen ihn heute genauso wie damals.