Predigt über Lukas 2,1-20
Lesung
Einleitung
1 Es begab sich aber zu der Zeit, da wir hofften, das Ende der Kriege wäre da, dass nicht alles gut wurde, sondern ein Gebot ging aus von Präsidenten und Kriegsherren und Kalifen, dass man die Menschen vertreiben sollte. Und es war die Zeit, zu der keiner mehr von den kleinen Bürgerkriegen in Afrika berichtete, nicht weil sie vorbei waren, sondern weil andere Konflikte uns viel näher kamen. Zu der Zeit kam heraus, dass Amerika, das Land der Freiheit und der Menschenrechte im Namen der Sicherheit unschuldige Menschen gefoltert hatte. Die Menschen erschraken darüber. Sie erschraken auch, dass dieser Herbst einfach nicht enden wollte und warteten auf den Winter, denn was ist schon Weihnachten ohne Schnee.
2 Zu dieser Zeit gab es nicht nur eine Schätzung. Sie schätzten, wie viel Schaden die Massentierhaltung für unsere Gesundheit anrichtet, sie schätzten, wie viele Flüchtlinge und Asylanten ein Landkreis aufnehmen konnte. Und sie schätzten, dass man bei diesem Zinsniveau Häuser baut und nicht verkauft.. O sie schätzten viel in diesen Tagen. Sie schätzten auch, dass unsere Straßen besser würden, wenn man eine Maut für Ausländer einführte, und endlich schätzten sie auch, wie viel Treibhausgase man einsparen müsste, damit die Temperatur der Erde nur um ein paar Grad Celsius steigt. Das fiel war ihnen in diesem Jahr besonders wichtig, denn sie wünschten sich ja wieder Schnee zu Weihnachten und für den Wintersport.
3 Und jedermann ging hin. Der Arbeitsmarkt verlangte Flexibilität von ihnen. Stundenlang saßen sie im Auto, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat.
Und es waren viele, die sich aufmachten, in diesen Tagen. Die Wanderarbeiter aus Mexiko kletterten wie jedes Jahr über den Zaun, halfen bei der Ernte in den USA und bis die Polizei sie wieder zurück zur Grenze brachte. Schlachthof-Arbeiter und Huren für den deutschen Markt wurden im weiten Osten angeworben und billige Arbeitskräfte für Pflegedienste und Putzkolonnen.
Wenn eine afrikanische Familie es sich leisten konnte, dann kaufte sie ein Ticket nach Europa für ihren fleißigsten, der dann Handtücher am Strand von Bibione verkaufte, und damit die Schule seiner Geschwister zu finanzieren. Es war eine gefährliche Reise, denn ein Schlauchboot eignet sich nicht für das offene Meer.
Im Nahen Osten und in Afrika gingen ganze Völker auf Wanderschaft, auf der Flucht vor dem Terror der Mächtigen und der Radikalen.
4 Da machte sich auf auch Jussuf aus Syrien, aus der Stadt Mossul, in den anatolische Hochland zur Hochburg der Kurden, weil er dort einen Onkel hatte,
5 mit Marjam, seiner Freundin, obwohl sie schwanger war.
6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.
7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Zeitungspapier und legte ihn in eine Bananenkiste; denn sie hatten keine Krankenversicherung.
8 Und in dieser sternklaren Nacht voll Einsamkeit und Klarheit, voller Verzweiflung unter den Einsamen und Freude bei den Kindern, voller Sehnsucht unter den Schichtarbeitern und glücklicher Erschöpfung von Müttern und Vätern, waren Menschen, die ließen sich nicht ablenken. Sie wachten über die Kranken und wussten dass Menschen mehr sind als Fieberkurven und Medikamente. Sie luden alle ein, damit sie von Gott hörten. Andere diskutierten, ob unser Leben wirklich so weitergehen kann, auf Kosten anderer, und was man dagegen tun könnte, denn einfach ist das ja nicht, und sie fragten sich, ob sie den Menschen, der letzte Woche ihre Hilfe gebraucht hat, wirklich gerecht behandelt haben.
Und viele machten sich auf in der Nacht, die sie den Heiligen Abend nannten, und gingen in die Kirche, um der alten Botschaft noch einmal eine Chance zu geben.
9 Und die Klarheit Gottes leuchtete um sie. Und sie begannen zu unterscheiden zwischen dem Wesentlichen und dem Nicht-so-Wichtigen. Darüber erschraken sie sehr, denn sie merkten: Gott selbst wollte etwas von ihnen.
10/11 Und der Engel sagte: Fürchtet euch nicht. Es lohnt sich. Gott meint es gut mit Euch. Ich habe euch etwas zu sagen, was die Welt verändern wird. Und es sind gute Nachrichten, das könnt ihr mir glauben.
12 Ihr müsst schon genau hinschauen, um Gott zu entdecken zwischen Gefunkel und Leuchtreklame, Weihnachtsgedudel und Geschenkpapier. Öffnet die Augen und die Herzen, dass ihr ihn findet zwischen Ideologie und Dogmatismus, dem Supermarkt der Spiritualitäten und dem Glauben an die Wissenschaft.
Aber ich sage euch das Zeichen, so könnt ihr Gott finden: Es sind die Windeln! Gott wurde als Kind einfacher Leute geboren und in einen Futtertrog gelegt; seine Heimat war besetzt. Es gab Terroristen, die den Besatzern das Herrschen unmöglich machten; er lebte im Volk und half Menschen, wenn er sich entscheiden musste, half er immer zu den Ausgestoßenen und Verachteten; er segnete die Kinder, auch wenn sie seine Predigten störten, und heilte hoffnungslos aufgegebene Kranke; die gefallenen Frauen waren ihm nicht peinlich; er wandte sich selbst von Verbrechern nicht ab; er redete Reichen und Armen ins Gewissen, verkündete frohe Botschaft, brachte Menschen Gott nahe und wurde selbst wie ein Verbrecher ans Kreuz geschlagen. Aber der Tod konnte ihn nicht festhalten, sondern er hat dem Tode die Macht genommen und keiner braucht sich mehr zu fürchten, denn er hat die Welt überwunden.
Und die Klarheit des Herrn kam über sie, und ihnen wurde einiges klar: dass der ewige Gott nicht abstrakt und unnahbar ist. Dass er nicht ein Gedankenkonstrukt für religiös Begabte war, auch nicht eine Idee der Philosophen, auch nicht ein Geheimnis für Mönche und Mystiker. Sondern dass man ihn erleben kann. Weil er mitten unter uns ist: dort wo das Leben stattfindet, wo es nach Tieren riecht und Dreck, in einem Kind, das so verletzlich ist, in einem Wort, in einem Menschen, der mich braucht, oder den ich brauche.
Und ihre Augen wurden geöffnet für die Wahrheit Gottes, und es wurde ihnen bewusst, dass sie jetzt erst die Welt um sie herum richtig verstehen konnten. Ohne Gott hatten sie immer das Falsche für wichtig gehalten!
13 Und als ihnen das klar geworden war, lösten sich ihre Herzen und Zungen, und sie lobten Gott und sprachen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und in der Niedrigkeit bei den Menschen sei sein Friede, der durch alle strömt, die ihm ihr Herz öffnen.“
14 Und als sie so sangen und beteten, da merkten sie, dass sie nicht allein waren. Viele schon hatte die Botschaft bewegt und verändert. Generationen hat sie Hoffnung gegeben und ihnen das Geheimnis des Lebens aufgeschlossen. Und sie spürten, dass die Botschaft vom Kind in der Krippe und vom Mann am Kreuz in allen Sprachen Menschen zu Friedensstiftern machte. Und sie lobten Gott mit denen, die vor ihnen gewesen sind, mit den Nahen und den Fernen – und mit den Engeln im Himmel. Und wer es hören konnte, für den war es das schönste und reinste Weihnachtskonzert, weil die Engel mit den Menschen sangen.
15 Und als der Engel fort gegangen war, sprachen die Leute untereinander: „Lasst uns nun gehen und sehen, wo der Befreier Jesus Christus heute wirkt. Lasst uns nach Bethlehem gehen, wo heute noch Terror und Besatzung regieren und lasst uns sehen, wer dort Wege der Versöhnung sucht, und was die bewegt. Lasst uns in die Diakoniestationen gehen und in die Pflegeheime, Kindergärten und Schulen und fragen, was ihnen die Kraft gibt, immer wieder auf Menschen zuzugehen.
Lasst uns auf unsere alten Leute hören, wie der Glaube sie in schweren Zeiten bewahrt hat. Wie er ihnen Hoffnung gegeben hat, und den rechten Weg gezeigt. Wie Glaube, Liebe und Hoffnung -diese drei- ihr Leben reich gemacht haben.
Ach -sagten sie- Lasst es uns doch selber ausprobieren, was passiert, wenn wir uns auf IHN einlassen, Jesus Christus, den Befreier, ob er uns auch zeigt, wozu wir auf der Welt sind. Lasst uns ihm nachfolgen. Ganz einfach, einfach, ernst und vorbehaltlos, tun, was er gesagt hat.“ – denn sie kannten ja die Geschichten im Neuen Testament.
16 Und sie machten sich auf den Weg mit Jesus, sie zögerten nicht, sondern sie taten es einfach, und sie fanden beides: viel Not und den Befreier, der sie wenden kann. Sie fanden, wie leicht es ist, sich mit Lügen, Macht und Taktik durchs Leben zu schlagen, aber wie gut es tut, wenn man seinen Nächsten einfach liebt. Und sie fanden, dass es wirklich stimmt, was Jesus gesagt hat: Wer zu mir kommt, den stoße ich nicht hinaus – und: Nehmt auf Euch mein Joch und lernet von mir, denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht. Es war für sie wie wenn ein Kind sich fallen lässt und die Arme des Vaters fangen ihn auf, und mussten nicht mehr zweifeln, sondern sie konnten glauben, denn sie hatten Jesus Christus erlebt, im Stallgeruch ihres Lebens, mitten drin, in dieser Welt.
17 Die es aber erlebt hatten, breiteten sie das Wort aus, das ihnen so sehr geholfen hatte. Und sie setzten sich ein für Menschen in Not, und kämpften für Frieden und Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung. Sie erzählten es ihren Kindern und auch den Chaoten aus dem Nachbarhaus, und sie nahmen sich Zeit für alle, die auf der Suche waren.
18 Und auf einmal war es ihnen überhaupt nicht mehr peinlich, in die Kirche zu gehen, obwohl sich viele wunderten, weil sie es nicht verstehen konnten, weil ihr Glaube zu klein war, und ihr Misstrauen zu groß, und sie den Schritt nicht wagten.
Viele aber wunderten sich darüber: Dass in dieser einen Nacht etwas geschehen ist, was seit 2000 Jahren Menschen neues Leben gibt.
19 Und viele hörten diese Freudenbotschaft Gottes. Sie konnten sie nicht vergessen, sondern erzählten sie jedes Jahr neu. Und sie bewegten sie ihn ihrem Herzen – manche zwar nur in ihrem Kopf und viel zu kurz, weil sie sonst ihr Leben hätten ändern müssen, und das wollten die meisten nicht. Aber denen es das Herz bewegte, die lobten Gott und dankten für alles, was Gott in ihrem Leben getan hatte.
Otto Guggemos
(Idee und einzelne Passagen nach Niels Hasselmann in Predigtstudien I,1 1990, Kreuz Verlag, S. 55ff.)