· Die Wahl der sieben Armenpfleger (Apostelgeschichte 6)
1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.
3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.
7 Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.
· Diakonie
Zuerst dachte ich: Das wird eine schöne Predigt: Es geht um die Gründung der Diakonie:
Bei den Gottesdiensten der Urgemeinde war es so, dass man sich satt essen konnte. Das Essen gehörte absolut zum Gottesdienst dazu. Und zwar so:
Oft fanden die Versammlungen am Abend statt. Da wurde gesungen, gebetet, aus der Bibel – also dem Alten Testament – gelesen. Die Jünger haben von Jesus erzählt, Geschichten wurden ausgelegt, theologische und ethische Fragen diskutiert, seelsorgerliche Gespräche fanden statt. Und es wurde gegessen, nach dem Motto: Jeder bringt etwas mit, dann werden alle satt.
Beim Brotbrechen erinnerte man sich der Worte Jesu: „Nehmet hin und esset. Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis.“ Und am Ende des Mahles, wenn nach alter jüdischer Tradition der Segenskelch herumgereicht wurde, dann geschah es mit den Worten: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut, sooft ihr’s trinket, zu meinem Gedächtnis.“
Die Armen, die nichts hatten, konnten Wasser für das Essen beisteuern, und die Reichen die guten Speisen. Am Ende wurden alle satt.
Das bedeutet „Brotbrechen“ im neuen Testament.
Weil die Urgemeinde so groß war, hat das nicht mehr so gut geklappt, darum musste man es besser organisieren. Ihre Aufgabe war, dafür zu sorgen, dass kein Bedürftiger zu kurz kam.
Und weil alles beim Essen anfing, nannte man diese Männer Diakone. „Diakon“ bedeutet auf deutsch „Diener“ – aber nicht einfach irgend ein Diener, sondern einer, der bei Tisch bedient, also etwa „Butler“ oder „Kellner“.
Seit ältester Zeit gab es darum in den Gemeinden Älteste – Priester – die für Verkündigung und Gemeindeleitung zuständig waren, und daneben Diakone, die für die Verwaltung des Kirchenvermögens zuständig waren, und insbesondere darauf achten mussten, dass für die Armen gesorgt wurde. Denn, so war man überzeugt: Das Geld der Kirche gehört den Armen.
Das ist ein einfacher Zusammenhang, und an sich sehr bemerkenswert, denn vielen ist nicht bewusst, dass „Diakone“ eine Kernaufgabe jeder Kirchengemeinde ist – und dass die Sozialsysteme, die heute unser Staat hat, ursprünglich kirchliche Ordnungen waren. Das hat auch die Kirche selbst in ihrer Geschichte allzu oft vergessen, aber es ist immer wieder aufgetaucht, und unsere Politik sähe heute anders aus, hätte es nicht die Diakone der Antike gegeben.
· Hebräer und Griechen
Aber wenn man tiefer in unseren Predigttext hineinschaut, dann merkt man, dass hier ein viel grundsätzlicheres Thema eine Rolle spielt.
Es war nämlich so: Die christliche Gemeinde ist nicht nur gewachsen, sie hat auch kulturelle Grenzen überwunden:
Der Kreis der Jünger um Jesus sprach Aramäisch, bestand aus Juden aus Palästina. Nun kamen viele Juden hinzu, die aus dem hellenistischen Sprachraum kamen. Sie verstanden also kein Aramäisch, sondern sprachen Griechisch. Auch waren sie anders geprägt, kamen aus einer anderen Kultur.
Wohlgemerkt, die meisten davon waren Juden, aber nicht alle: von Nikolaus heißt es, er war ein „Judengenosse“ – das bedeutet, er gehörte nicht zum jüdischen Volk, war auch nicht beschnitten, glaubte aber an den Gott Israels. An die jüdischen Reinheitsgebote hielt er sich nur teilweise.
Alle diese Leute haben sich taufen lassen, weil sie an Jesus als den Messias glaubten. Die Kirche wuchs ständig. Innerhalb weniger Wochen waren es tausende Christen in Jerusalem.
Und jeder brachte ja seine eigenen Traditionen und Überzeugungen mit. Ein kultureller, sprachlicher und ethnischer Graben verlief mitten durch die junge Gemeinde. Bitte bedenken Sie: Ein orthodoxer antiker Jude hätte unter keinen Umständen an einem Tisch mit einem Nichtjuden gesessen. Meistens haben sie nicht einmal die Häuser der Nichtjuden betreten. Verstehen Sie nun, warum es mit der Verteilung der Armenversorgung an die griechisch-sprachigen Witwen nicht mehr geklappt hat? Wenn es schon ein Problem war, an einem Tisch zu sitzen, wenn man nicht die gleiche Sprache sprach, wie sollte es da klappen mit dem „Brotbrechen“? Die griechischen Witwen – also die aus dem hellenistischen Kulturraum fühlten sich permanent übergangen.
Es kam zum Streit. Auf der einen Seite die „Neuen“ in der Gemeinde, die die alten Bräuche nicht verstanden und das Gefühl hatten, sie kommen dauernd zu kurz. Und auf der anderen Seite die „Alteingesessenen“, Bürger von Jerusalem, Menschen, die Jesus zu Lebzeiten gekannt hatten, die seine Sprache sprachen und sich selbstverständlich an jüdische Traditionen hielten.
· Konflikte in der Gemeinde
Das Thema Diakonie und Nächstenliebe wäre an sich ein gutes Predigtthema. Darum geht es im Diakonie-Gottesdienst am 12. Oktober.
Aber das hier geht noch tiefer. Spannungen zwischen Traditionsgemeinde und …wem auch immer. Noch grundsätzlicher: es geht um Trennlinien zwischen Milieus. Damit geht es auch um unsere Gemeinde. Wer kann sich heute vernachlässigt fühlen? Wer wird tatsächlich vernachlässigt – hier bei uns, in unserer Gemeinde. Natürlich nicht nur materiell. Es geht darum, ob von unseren 1.300 Gemeindegliedern jede und jeder die Chance hat, satt zu werden, auch geistlich satt zu werden, Heimat zu haben in unserer Kirchengemeinde, hier anzukommen, aufzutauchen, lebendiges Glied zu sein. Und natürlich auch um die Menschen, die nicht zur Gemeinde gehören, zu denen Gott uns aber sendet.
Darüber kann und muss man viel nachdenken, aber daran will ich mich in dieser Predigt nicht wagen. Halten wir doch einfach mal alle die Augen und Ohren offen.
Die Konflikte, von denen hier die Rede ist sind gut, denn es sind Wachstums-Konflikte. Sie entstehen, wenn eine Gemeinde sich öffnet und wächst. Sie zu erkennen und zu lösen bringt die Gemeinde gleichzeitig ihrem Ziel, dem Geheimnis Gottes näher.
· Lösungen von Konflikten
Ich möchte stattdessen zum Schluss noch einmal darauf schauen, wie der Wachstums-Konflikt in Jerusalem löst. Das finde ich nämlich auch für uns ziemlich spannend:
Erstens: Gemeindeglieder, die sich an den Rand gestellt fühlen, rühren sich. Sie wenden sich nicht einfach ab – gehen einfach nicht mehr hin oder suchen sich eine andere Gemeinschaft – sondern sie wenden sich an die Gemeindeleiter.
Dann sucht und findet das Sachproblem. Zunächst war es nur ein „Murren unter den griechischen Juden“.
Die in der Gemeinde das Sagen haben, hören auch zu. Wichtige Grundregel: Nur wer zuhören kann, sollte etwas zu sagen haben. Beim Hinsehen wird klar, dass es um die Versorgung der Witwen geht, und als man noch genauer hinsieht merkt man, dass dahinter ein kulturelles Thema steckt. Darum werden zu Diakonen lauter griechisch-sprachige gewählt – das erkennt man an ihren griechischen Namen in der Bibel.
Ist das Sachproblem erst einmal benannt, kann man es gezielt lösen. Man löst es mit Liebe und Verstand.
Dabei hat Gebet und Verkündigung klare Priorität:
Die Einsetzung der Diakone hat das Ziel, die Jünger für ihre Hauptaufgabe der Gemeindeleitung freizuhalten. Bei der geht es im Kern um Gebet und Verkündigung. Darauf sollen sich die Gemeindeleiter konzentrieren können.
Außerdem sucht man als Diakone auch Evangelisten aus. Es geht also nicht etwa darum, dass hier Praktiker gebraucht werden, und dort Redner. Stephanus hält im folgenden Kapitel eine große Rede über den christlichen Glauben vor dem Hohen Rat, und ein paar Seiten weiter tauft Philippus den Finanzminister der Königin von Äthiopien.
In der Kirche geht es um Gottes Wort, Gebet und Gemeinschaft, daran ändert auch die neue Ordnung nichts.
Und die neue Ordnung wird ganz klar eingeführt. Sie wird auf einer Gemeindeversammlung beraten. Die neuen Diakone werden dann offiziell und mit Gebet und Segen durch die Apostel in ihr Amt gestellt.
· wir?
Liebe Gemeinde, ich nenne heute keine Beispiele, denn wir wollen ja noch Zeit haben für das Abendmahl. Außerdem will ich, dass wir alle unsere Augen und Ohren offen halten, damit wir das „Murren“ derer hören, die sich in unserer Gemeinde vernachlässigt fühlen. Damit wir unsere Wachstums- und Entwicklungs-Konflikte ansprechen und klären können. Damit unsere Gemeinde wachsen kann, nicht unbedingt zahlenmäßig, vor allem aber in die Tiefe wachsen kann, zu Gott hin.