· Text
Ich lese den Predigttext für den Ostersonntag: Johannes 20,11-18
· Szenen auf Friedhöfen
- Die Nacht ist dunkel.
Die Nacht ist dunkel.
Waren Sie schon einmal nachts auf einem Friedhof. Die meisten machen das eher ungern. Es ist ziemlich finster. Die Stadt ist noch nicht erwacht. Nur ein paar Tiere rascheln hier und da. Nebel deckt sich über die Gräber – gräulich-weiß, wie ein Leichentuch.
Auf Friedhöfen geschehen einschneidende Szenen. Über manchen ist noch nie so viel Gutes geheuchelt worden, wie an seinem Grab. Andererseits fließen auch selten so ehrliche Tränen wie am Grab. Man ist so schutzlos, wenn man trauert, man lässt die Masken fallen. Manchmal wird uns selbst erst richtig klar, welche Bedeutung ein Mensch für uns hat, wenn wir ihn verlieren.
„Sammle meine Tränen in deinen Krug; ohne Zweifel, du zählst sie“, so betet einer zu Gott, im Psalm 56,9. Tränen sind ein wertvoller Saft. Töricht, Tränen zu unterdrücken.
- Auferstehungszeugen
Selig sind die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Ja, es gibt Menschen, die haben ihn gesehen. Ohne die Zeugen der Auferstehung gäbe es keinen christlichen Glauben. Und Maria von Magdala war die erste.
· Trauerarbeit
- Beerdigungen
Wenn ein Mensch beerdigt ist, dann müssen die Tränen fließen. Es dauert lang, oft ein ganzes Jahr, bis wir mir mit der veränderten Situation umgehen können. Das ist wirklich Arbeit. Die Psychologen nennen es „Trauer-Arbeit“. Wir würden einen Menschen gerne festhalten, aber wir merken, dass wir ihn loslassen müssen. Weil er schon fort ist. Das ist wirklich schwer. Das ist Arbeit.
An schönen Frühlingstagen ist bei uns auf dem Friedhof oft ein reges Treiben. Sie drücken Ihre Liebe zu Ihren Verstorbenen aus, indem Sie die Gräber pflegen. So gehen Sie mit Ihrer Trauer um. Sie gehört zu Ihrem Leben, so wie der Verstorbene zu Ihnen gehört.
Jemand hat einmal gesagt: Das wäre „die Hölle“, wenn das Grab meines Mannes nicht hier wäre, und ich nicht hin könnte, so oft ich will. „Die Hölle“, so drastisch hat diese Frau sich ausgedrückt.
- Jesus und Maria
Nachts auf dem Friedhof steht eine Frau und weint. Gerade erst war die Beerdigung eines Menschen, der ihr gegeben hat, was kein anderer einem Menschen geben kann. Sie galt als geisteskrank, aber er hat ihr ihre Würde wiedergegeben. Sie hat keine Ahnung, wie sie überhaupt weiterleben soll. Sie weint. Es ist Nacht.
Stellen wir uns doch die Situation vor: Sie gehen an ein Grab. Es ist noch frisch. Und als sie davor stehen, hat es jemand wieder aufgebuddelt. Und auf einmal taucht einer auf, und fragt Sie, warum sie weinen. Da drehen Sie sich um, und er ist der Siegfried Hübner, unser Friedhofsgärtner. Was hat der um diese Zeit auf dem Friedhof verloren? Und wer hat das Grab geschändet?
Maria war fertig mit der Welt. Jesus war tot, ihre Hoffnung, ihre Zukunft, ihr Leben. Vorgestern hatten sie ihn beerdigt. Es war ein schrecklicher Tag. Die Totengräber arbeiteten hektisch, keiner wollte die Leiche über die Feiertage herumliegen haben. Er war schon ziemlich spät am Nachmittag, als er gestorben ist. Wenn ich bei uns eine Beerdigung um 15.00 Uhr ansetze, kriege ich Ärger mit dem Bestatter. Alles war viel zu schnell gegangen.
Maria hatte Sehnsucht. Sie musste zum Grab gehen. Sie konnte nicht warten, bis es Tag wird.
Und dort: nichts als Rätsel. Jemand hat das Grab geöffnet, der Leichnam ist weg. Im Grab findet sie zwei, die sie eigentlich nur für Engel halten kann. Die fragen: Warum weinst du? – eigentlich eine dämliche Frage, in dieser Situation. Und doch hat es sie so getröstet, dass endlich mal einer fragt.
Das Gespräch dauert nicht lang. Da taucht hinter ihr dieser Mann auf. Es ist Jesus, den sie sucht. Aber sie kann ihn nicht erkennen. Die Augen verweint. Keine Erwartung mehr, ihn so zu treffen.
· Jesus ruft sie beim Namen und öffnet so die Augen ihres Geistes
- Ruf und Antwort
Das Signal, bei dem sie Jesus erkennt, ist ihr Name. Das ist kein Zufall.
Gott schauen, Jesus ansehen, das können wir nur im Glauben. Und der Glaube ist immer Antwort auf die Anrede Gottes. Wenn Gott uns beim Namen ruft, dann können wir glauben. Sonst können wir es nicht. Wir sind blind und taub für Gott, wir halten ihn für tot, so lange, bis er unseren Namen ruft, und wir erkennen: Ich bin gemeint. „Maria“ – „Michael“ – „Katja“ – „Martin“. Gott hat dich bei deinem Namen gerufen. Darum bist du hier. Nur, wer hört, kann Gott schauen.
In diesem Gottesdienst dreht sich alles um das ansehen. Die ersten Zeugen haben den Auferstandenen gesehen.
Auch wir schauen auf Gott. Jedoch mit den Augen unseres Herzens. Oculi nostri ad Dominum Deum – Unsere Augen sehen auf den Herrn unseren Gott. Weil er uns beim Namen gerufen hat, darum richten wir unsere Herzen aus. Wir schauen auf den Auferstandenen. So wendet sich unser Blick. Wir starren nicht mehr die Nöte unserer Welt an, wie das Eichhörnchen vor der Schlange, sondern wir wenden uns um. Von Maria heißt es hier zweimal, dass sie sich umgewandt hat. Wer auf den Auferstandenen schaut, dessen Leben bekommt eine neue Richtung. Das verleihe Gott uns allen!
- Das ändert alles
· Himmelfahrt
Die verblüffendste Stelle an unserem Text ist jedoch, dass Maria Magdalena den auferstandenen Jesus nicht anfassen darf, weil er noch nicht zum Vater aufgefahren ist. Das ist um so verwunderlicher, weil Jesus kurz danach dem Ungläubigen Thomas anbietet, seinen Finger in seine Wunden zu legen.
- Himmelfahrt macht Jesus allgegenwärtig
Um was geht es: Himmelfahrt bedeutet, dass Jesus bei seinem und bei unserem Vater ist. Himmelfahrt bedeutet, dass er zum Vater geht und von dort den seinen Geist zu uns sendet. Darum bedeutet Himmelfahrt, dass er uns viel näher ist, als er Maria oder den anderen Jüngern jemals gewesen ist. Jesus ist in unserer Mitte gegenwärtig. Er wohnt in uns durch seinen Geist. Er macht sich berührbar im Heiligen Abendmahl und im Nächsten. Und mit den Augen unseres Herzens können wir ihn ansehen. An jedem Ort und zu jeder Zeit. Ich glaube, damit will der Evangelist hinaus, mit seiner seltsamen Formulierung: Jesus ist jetzt bei Gott. Keiner kann den historischen Jesus festhalten, wie er auf Erden war. Wir finden den lebenden nicht bei den Toten. Er ist auferstanden. Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Und dort ist er immer bei uns. Denn das Reich Gottes ist inwendig in uns.
Darum sollen wir uns rufen lassen, und können ihn ansehen mit den Augen unseres Herzens.
Lasst uns das tun. Maria hat Jesus gesehen. Und sie wird ihn nicht vergessen. Sie wird ihn stets vor Augen haben. So wird sie zu den Jüngern gehen und ihnen bezeugen: Der Herr ist auferstanden.
Ich lade uns heute ein, ich fordere uns auf: Lassen wir uns rufen, und werden wir Zeugen seiner Auferstehung. Nehmen wir seine Gegenwart in uns auf, nehmen wir sie mit in diese Ostertage. Und werden wir zu Zeugen. Erzählen wir es denen, die es nicht wissen, oder es nicht glauben: Der Herr ist auferstanden. Jesus lebt. Er wohnt in meinem Herzen. Ich kenne seine Kraft. Ich weiß, dass er mich hört. Er verwandelt mein Leben. Der Tod hat seinen Schrecken verloren, und mit ihm seine Kumpanen, die Angst, Scham und Schuld.
Jesus lebt. Unsere Augen sehen stets auf den Herren.
♦ Predigtlied Wunderbarer König (EG 327)
Otto Guggemos