„Du machst mich frei von kranker Religion,“ beginnt ein Lied, das ich mit meiner Schulklasse für das Reformationsfest einübe. Die Jungs in den hinteren Bänken lachen: Dass „Reli“ krank ist, dachten sie sich schon.
Natürlich reden wir darüber: Was ist eigentlich kranke Religion? Das gibt es ja wirklich! Zuerst fällt mir religiöser Terrorismus ein. Dann denke ich an religiös-traditionelle Vorschriften, die Menschen benachteiligen und einengen. In unseren Tagen scheint das vor allem ein Thema im Islam zu sein. Allerdings wissen wir aus unserer protestantischen Geschichte: Auch im Christentum gab und gibt es Religion, die lähmt, Angst macht, krank macht. Reformation war und ist notwendig.
Heute würden viele sagen, kranke Religion überwindet man am besten, indem man nicht allzu religiös ist, oder gleich radikal für den Atheismus eintritt. Aber ein Blick in die Welt zeigt: Religion lässt sich nicht ignorieren. Nichts gibt mehr Kraft als Religion - zum Schlechten wie zum Guten. Staaten, die versucht haben, Religion durch Atheismus oder durch Laizismus zu ersetzen, sind nicht weit gekommen. Der Atheismus hat hohen Blutzoll gefordert, und der Laizismus hat religiöse Ghettos erzeugt, in denen kranke Religion erst recht wuchert.
Wie werden wir frei von kranker Religion? Evangelischer Glaube sagt: Durch Jesus Christus. In ihm finden wir die Freiheit der Kinder Gottes. Tatsächlich: Die Überwindung kranker Religion im Christentum kam und kommt nicht von außen. Sie kam und kommt von innen, wo man gründlich und ernstlich nach Christus gefragt, sich informiert, was Jesus wirklich gesagt und getan hat. So kommt der Geist der Freiheit in unser Leben, der uns frei macht von Zwängen, die uns krank machen - nicht nur von den religiösen.
Pfarrer Otto Guggemos